Öffentlicher nahverk
...
02
/
04
/
2021
Jahrzehnte lang war der öffentliche Nahverkehr in Großbritannien von Privatisierung und „Laissez-faire“ geprägt. Das hat dem Land den Ruf eingebracht, der ultraliberale Wilde Westen des ÖPNV zu sein, der die Nutzer buchstäblich auf der Strecke lässt. Doch das kann sich nun ändern, die Briten bereiten sich auf eine kleine Revolution vor.
„Ich liebe Busse„. So beginnt das Vorwort zur Nationalen Busstrategie, unterzeichnet von Boris Johnson. Das 84-seitige Dokument mit dem Titel „Bus Back Better“ beschreibt detailliert, wie das Vereinigte Königreich die Reputation von Bussen im Hinblick auf die Erreichung nationaler Ziele unterstützen will – von Null-Emissionen bis hin zur wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise. Dies ist eine 180°-Wende in einem Land, in dem es seit den Privatisierungen von 1986 in einigen Gebieten überhaupt keinen Busverkehr mehr gab. Die Stilllegung von Linien und unerschwingliche Fahrkarten hatten die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel halbiert.
Bis jetzt war England eines der wenigen Länder, in denen die öffentliche Verkehrsversorgung in privater Hand war. Lediglich London bildete eine Ausnahme: Die Stadt wird als Beispiel für einen kostengünstigen öffentlichen Nahverkehr angeführt, profitiert jedoch vor allem von einer sehr hohen Dichte, die so kaum in anderen Regionen Großbritanniens gegeben ist.
Angesichts der Covid-Krise scheint nun ein echter Wandel bevorzustehen.
Mit der Bekanntmachung der „National Bus Strategy“ erhält das Land erstmals einen echten Plan, wie der öffentliche Nahverkehr sein volles Potenzial entfalten kann. Die britische Verkehrsberaterin Beate Kubitz erklärt: „Es ist ein Manifest für Veränderungen, das damit beginnt, aufzuzeigen, dass das bisherige öffentliche Nahverkehrsystem Menschen im Stich gelassen hat und damit auch ganze Gemeinden, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, seiner Mobilität beraubt hat.“
Die neue Strategie beinhaltet außerdem Anforderungen für eine funktionierende Infrastruktur.
Dedizierte Busspuren, emissionsfreie Fahrzeuge und die technologische Grundlage, die nicht nur ein besseres Beförderungsmanagement, sondern auch die vollständige Integration neuer Mobilitätsangebote (im Sinne des Mobility-as-a-Service-Prinzips) ermöglichen.
Der Staatssekretär für Wirtschaft, Energie und Industriestrategie, Kwasi Kwarteng beschreibt die Strategie folgendermaßen: „Es geht darum, den Umstieg auf emissionsfreie Fahrzeuge zu beschleunigen und die Verkehrsnetze in Großbritannien zu dekarbonisieren“.
Um dies zu erreichen, will die Regierung die ÖPNV-Branche finanziell unterstützen und so den Erfolg des Projekts sicherstellen. Dazu gehören in erster Linie deutlich frequentierte Verbindungen in städtischen Gebieten und zuverlässige Verbindungen in weniger dicht besiedelten Gegenden. Transport-on-Demand-Services sind in den erarbeiteten Lösungen ebenfalls enthalten. Dabei handelt es sich um Busdienste, die nicht festen Fahrplänen oder vordefinierten Routen folgen, sondern den Reservierungswünschen der Nutzer folgen. Die Fahrstrecken werden mit Hilfe von Algorithmen optimiert – mit großem Erfolg. Die Servicequalität steigt durch den Einsatz neuer Technologien deutlich an, eine Investition von 3 Milliarden Pfund ist bereits beschlossene Sache.
Die Stadt Manchester will als Zeichen der Trendwende im Vereinigten Königreich nach London das zweite Stadtgebiet sein, das wieder in öffentliche Hand übergeht. Wie im Rest des Landes war dort die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel schon lange vor der Pandemie rückläufig. Die Deregulierung hatte ein pauschales Tarifsystem und unverhältnismäßige Preise hervorgebracht, zudem wurden ganze Landstriche langezeit gar nicht mehr bedient.
So plant Manchester ein Konzept nach Londoner Vorbild, wonach sich die Verkehrsbetriebe bewerben können, um ihre Dienste im Rahmen eines „Franchise“-Modells anzubieten.
Gegenwind erwartet Andy Burnham, der Bürgermeister von Manchester, vor allem von Seiten der Betreiber. Sie werden viel weniger Freiheit haben, Fahrpreise eigenständig festzulegen bzw. zu entscheiden, auf welchen Strecken sie verkehren wollen. Der Streit muss vor Gericht ausgetragen werden, ein gutes Zeichen ist aber, dass bereits andere Städte ihre Absicht bekundet haben, den Bus ebenfalls wieder in die Gemeinschaft zurückholen zu wollen.
Damit der öffentliche Nahverkehr seine umfassende Funktion beim Übergang zu einem kohlenstofffreien Verkehr erfüllen kann, müssen die Kommunen die Kontrolle zurückerobern und sich dabei auf die Kompetenz von Expertinnen und Experten stützen. Die richtige Strategie und ein echter Wettbewerb dort, wo früher private Monopole herrschten, kann zu großartigen Ergebnissen führen.
Dieser Artikel könnte Sie ebenfalls interessieren: Warum ist der Bus ein so unbeliebtes Verkehrsmittel?
29
/
05
/
2024
30
/
04
/
2024
27
/
06
/
2024